Jugendliche in Ausnahmesituationen: Das Waldhaus in Hildrizhausen bietet ihnen einen Platz – auch während der Coronakrise
Der Alltag vieler Menschen wird zur Zeit auf den Kopf gestellt. Die Corona-Krise erfordert andere Gewohnheiten und Verhaltensregeln. Dies stellt so manch einen vor Herausforderungen. Doch wie sieht es eigentlich in Einrichtungen wie dem Waldhaus in Hildrizhausen aus?
Von Melissa Schaich
HILDRIZHAUSEN. Ständig in den eigenen vier Wänden zu sein – das fällt schwer. Doch wie sieht es erst in Hausgemeinschaften wie denjenigen im Waldhaus aus? Dort, wo Jugendliche in Ausnahmesituationen betreut werden müssen, ist „Social Distancing“ keine Alternative.
„Unsere Wohngruppen sind letztlich wie Familien zu sehen. Da ist Abstand-Halten einfach nicht möglich“, erklärt Michael Weinmann, der Bereichsleiter der stationären Hilfe. Trotzdem bemühen sich die Mitarbeiter darum, Heimbesuche und Ausgänge zu minimieren, um die Gefahr einer Ansteckung zu umgehen. „Das ist nicht immer ganz so einfach, vor allem, wenn die Jugendlichen das Gefühl haben, eingesperrt zu werden“, erklärt Michael Weinmann. Bis jetzt hätte es zwar noch keine extremen Zwischenfälle gegeben, doch in dieser angespannten Situation würde die Gruppendynamik doch manchmal hochkochen, meint der Bereichsleiter.
Ab und zu kommt es auch vor, dass der ein oder andere Jugendliche trotzdem rausgeht. „In diesen Fällen bleibt uns nur übrig, über pädagogische Intervention Überzeugungsarbeit zu leisten“, erklärt er. Daneben kommt aber auch das Fieberthermometer zum Einsatz. „Wir hatten zum Glück noch keinen Corona-Fall in unseren Wohngruppen“, fügt Michael Weinmann hinzu. Außerdem versuchen die Pädagogen verstärkt Freizeitangebote anzubieten. „Wir gehen beispielsweise gemeinsam in den Wald oder sind auf freiem Feld mit viel Platz unterwegs“, erzählt der Bereichsleiter. Dies stoße bei der Bevölkerung jedoch oftmals auf Unverständnis: „Wir behandeln eine Wohngruppe wie eine Familie, aber Außenstehende wissen nicht, was da vor sich geht“, sagt er. Der Ausgang in Begleitung von Pädagogen sei jedoch wichtig, um die Harmonie in den Gruppen zu halten.
Vereinzelt steht das Waldhaus-Team auch vor der Herausforderung, Eltern aufzuklären, die fordern, dass ihre Kinder wieder nach Hause kommen. „Dazu haben wir extra Schreiben aufgesetzt, in denen wir den Eltern die Situation erläutern und Aufklärungsarbeit leisten“, berichtet der Bereichsleiter. Denn oftmals habe es driftige Gründe, warum die Jugendlichen nicht zu Hause leben.
Waldhaus-Mitarbeiter sind ebenfalls Helden des Alltags
„Auch die Waldhaus-Mitarbeiter sind Helden des Alltags“, meint Michael Weinmann. Tag für Tag erledigen sie ihren Job unter erschwerten Bedingungen. Mittlerweile ist mehr Personal nötig, da die Jugendlichen nicht mehr zur Schule gehen. Da müssen die Lehrpläne und Hausaufgaben von acht verschiedenen Jugendlichen, die teilweise auf verschiedene Schulen gehen, koordiniert werden. In diesen krisenhaften und unsicheren Zeiten, hat die Beziehungsarbeit den höchsten Stellenwert. Damit das gelingt, hilft das gesamte Personal des Waldhauses aus: „Es gibt so gut wie keinen Mitarbeiter, der sich nicht solidarisch erklärt“, sagt Michael Weinmann. So wurden die Karten neu gemischt und viele Mitarbeiter helfen an den Stellen aus, an denen wiederum Leute fehlen.
24 Stunden am Tag arbeiten die Betreuer der Wohngruppen im Schichtdienst und manövrieren die Jugendlichen emotional durch eine Zeit, die von räumlicher Enge, wenig Kontakt zu Freunden und Familie und allgemeiner Verunsicherung geprägt ist. Mit Aussagen wie „Ich lasse mich nicht meiner Freiheit berauben“ haben die Betreuer öfters zu tun und geben ihr Bestes, den Jugendliche die Situation zu erklären. „Es ist ja oftmals kein intellektuelles, sondern ein emotionales Verständnisproblem“, sagt Michael Weinmann.
Doch es gibt auch Lichtblicke, beispielsweise in der Jugendberufshilfe. „Einige Langzeitarbeitslose haben mittlerweile Jobs in Supermärkten gefunden und sogar eine Ausbildung in Aussicht“, berichtet Vanessa Frey, Pressesprecherin des Waldhauses. „Das Waldhaus hat eine große Verantwortung gegenüber den Jugendlichen“, fügt sie hinzu, weshalb die Umstrukturierung zu Beginn der Corona-Krise und das neue Regelwerk in enger Abstimmung mit dem Landratsamt ausgearbeitet wurde. Als „riesen Herausforderung“ bezeichnet Hans Artschwager, Geschäftsführer des Waldhauses, die Maßnahmen, die im Zuge der Corona-Krise ergriffen werden mussten. Zuerst einmal mussten Fragen wie „Wer ist krank?“, „Wer hat Symptome?“ geklärt werden. Für die Wohngruppen wurden Einkaufsdienste organisiert, sodass lediglich zwei Personen die Einkäufe aller Hausgemeinschaften erledigten. „Für die Fragen der Mitarbeiter steht außerdem der Arzt Günther Wöhler zur Verfügung“, sagt Hans Artschwager. Jede Woche beantwortet er per Video die Fragen der Mitarbeiter. Das ist auch die neue Form der Kommunikation innerhalb der Einrichtung: „Jeden zweiten Tag halten wir eine Videokonferenz, um uns abzusprechen“, erklärt er.
Das Gebäude zur Inobhutnahme ist seit Anfang April in Betrieb
Seit dem ersten April ist außerdem das neue Gebäude zur Inobhutnahme in Betrieb, in dem Jugendliche in Notlagen unterkommen können. „Wir haben dort insgesamt sechs Plätze, von denen momentan zwei belegt sind“, erklärt Michael Weinmann. „Es ist kaum vorhersehbar, inwieweit sich die Plätze noch füllen werden“, sagt er. Denn in einer Zeit, in der problembelastete Familien auf engem Raum zusammenleben, kann es immer wieder zu gefährlichen Situationen kommen. Oben im Dachgeschoss des Gebäudes soll nun auch eine Wohnung so hergerichtet werden, dass sie als Einzelabsonderung im Falle einer Corona-Erkrankung genutzt werden kann.
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