Sonntagvormittag am Weilemer Hallenbad: Der Geruch von frischen Farben hängt in der Luft und auf dem Asphalt vor der grauen Betonwand am Eingang stehen leere Sprühdosen. Mitten auf der Wand leuchten erste Farben von knallgelb bis satt grasgrün. Was bei einigen Passanten für große Augen und verwunderte Blicke sorgt.
Artikel vom 21. Oktober 2019, Kreiszeitung Böblinger Bote
Von Natalie Kaspar
WEIL IM SCHÖNBUCH. Ist das etwa ein Akt von Vandalismus am helllichten Tag? Keinesfalls. An der Betonwand arbeiten nicht etwa Sprayer ohne Erlaubnis, sondern Jugendliche aus der Region. Die Umgestaltung der grauen Betonwand ist das Abschlussprojekt des Graffiti-Workshops, den das Waldhaus in Hildrizhausen und die Jugendsozialarbeit Weil im Schönbuch gemeinsam mit der Kommune auf die Beine gestellt haben.
Schon seit Freitag werkeln die angehenden Künstler mit den Sprühdosen und erproben ihre Fähigkeiten unter der Anleitung von Nathan Grant. Er beschäftigt sich schon seit rund zwanzig Jahren mit Graffiti, verdient seinen Lebensunterhalt unter anderem freiberuflich mit seiner Kunst und organisiert in Zusammenarbeit mit Schulen und Jugendhäusern verschiedene Workshops für Jugendliche.
Auch bei Graffiti ist alles eine Frage der Technik
„Genau wie bei anderen Kunstformen wird auch beim Grafitti mit ganz bestimmten Techniken gearbeitet“, erklärt der Experte. „Deswegen haben wir am Freitag erstmal im Kleinen angefangen und auf Kartonagen ausprobiert, wie das Sprühen überhaupt funktioniert.“ Am Samstag ging es dann schon ans Eingemachte. Der erste Entwurf für die langweilige Betonwand vor dem Hallenbad zeichnet sich schließlich nicht von selbst. „Wir haben gemeinsam Ideen für das Konzept gesammelt, die Jugendlichen sind also wirklich an jedem Arbeitsschritt beteiligt und dürfen ihre Meinung einbringen“, erklärt Nathan Grant die Vorgehensweise – und fragt auch noch mitten im Arbeitsprozess am Sonntag immer wieder nach den Meinungen und Ideen der Jugendlichen. Bei dem Workshop geht es nämlich nicht bloß darum, einmal eine Sprühdose in die Hand zu nehmen und die Flächen, die Nathan Grant als Hilfestellung schon einmal auf der grauen Wand skizziert hat, mit den richtigen Farben auszufüllen. „Es geht am Ende nicht nur ums Sprühen. Die Jugendlichen sollen einfach mal die Möglichkeit haben, Kunst auszuprobieren und einen Zugang zu den kreativen Möglichkeiten zu finden“, fasst er seine Herzensangelegenheit in wenigen Worten zusammen.
Und Auszuprobieren gibt es am Sonntag wirklich eine Menge. „Ich habe immer gedacht, das mit dem Grafitti wäre alles ziemlich einfach“, gesteht Lea-Sophie (12) aus Weil im Schönbuch. „Aber es ist echt schwierig, keine Flecken in die großen Flächen zu machen und innerhalb der Linien zu sprühen.“ Spaß hat sie aber trotzdem auf jeden Fall und macht sich direkt wieder mit der knallgelben Farbe an die Arbeit – damit die Wand auch richtig bunt wird und viele Blicke einfängt.
„Die Wand ist natürlich schon echt groß“, meint Nathan Grant. Tatsächlich überdeckt das bisherige Motiv lediglich die Hälfte des grauen Betons. „Wir machen jetzt erstmal den Schriftzug in der Mitte fertig. Für den Rest brauchen wir dann nochmal ein Wochenende und einen zweiten Workshop.“ Außerdem fehlen noch konkrete Ideen für die Gestaltung der übrigen Wand – sportlich, dynamisch und vor allem eben bunt soll sie am Ende aber auf jeden Fall werden.
Die Idee für den Graffiti-Workshop entstand tatsächlich auch schon vor einigen Jahren. „Seitdem die Grünflächen vor der Betonwand auf Vordermann gebracht wurden und die Schule die Blumenbeete angelegt hat, sticht das Grau einfach extrem ins Auge“, erklärt Weils Jugendreferentin Mahendra Scharf, die den Workshop organisiert hat und für das Waldhaus in Hildrizhausen arbeitet. „Anfang des Jahres kam deswegen dann der Gemeinderat auf uns zu und hat uns seine volle Unterstützung für das Graffiti-Projekt zugesichert. Damit fiel dann endlich auch der Startschuss für die Organisation.“
Drei Nachwuchskünstler dürfen sich so richtig austoben beim Hallenbad
Der Ansturm auf die Sprühdosen hielt sich allerdings in Grenzen. Lediglich drei Anmeldungen für den Workshop flatterten der Jugendsozialarbeit letztendlich ins Haus. „Dass wir jetzt eine ziemlich kleine Gruppe sind, ist überhaupt kein Problem. Dann können sich beim Sprühen alle richtig austoben und eben noch mehr mit den Farben ausprobieren“, erklärt der Graffiti-Experte mit einem Blick zu den drei fleißigen Mädels. „Stimmt. Es ist richtig cool, dass wir echt viele Sachen machen können“, pflichtet ihm Mizgin (13) bei.
Die Mädchen sind weiterhin mit voller Begeisterung bei der Sache und wollen die Sprühdosen nicht einmal zum Mittagessen lange aus der Hand legen. „Es gibt echt schöne Bilder, die an Wände gesprüht wurden. Ich wollte einfach mal selbst ausprobieren, wie das funktioniert“, erklärt Melina (11) aus Waldenbuch. „Es macht auch richtig Spaß, aber ich bin auch echt kaputt“, setzt sie grinsend hinzu. Um die Leiter im Anschluss noch einmal zu erklimmen und die nächste freie Fläche auf der Wand anzusprühen, reicht die Kraft allemal. Immerhin soll das Kunstwerk bald fertig werden.
Und was kann getan werden, damit die Laune auch wirklich bis zum Schluss gut bleibt? Da weiß Wolfgang Lahl, Bürgermeister von Weil im Schönbuch Rat: „Ich dachte, ich bringe eine kleine Motivation vorbei“, meint er lachend und winkt mit einer Box voller kleiner Schokoladentafeln. Genauso wie die jungen Künstler freut er sich schon auf das fertige Projekt: „Die Mauer ist wirklich noch ein Relikt. Sie soll jetzt bunt werden, damit sie zu unserer Jugend passt.“ Und mit einem Bissen Schokolade geht die Arbeit gleich noch viel besser von der Hand.