Ideenschmiede: Die Jugendreferenten der teilnehmenden Kommunen und die Waldhaus-Mitarbeiter haben ein neues Großprojekt in Angriff genommen Foto: Sandra Schumacher
Wie gelingt es, Jugendliche für die Kommunalwahlen am 26. Mai zu begeistern? Dieser Frage hat sich die Waldhaus Jugendhilfe gewidmet – und in Zusammenarbeit mit zehn Kommunen aus den Landkreisen Böblingen und Calw ein Projekt entwickelt, das die junge Generation informieren und motivieren soll.
Artikel vom 28. März 2019, Von Sandra Schumacher, Kreiszeitung Böblinger Bote
KREIS BÖBLINGEN. „Ich gehe wählen . . .“ lautet die Überschrift eines aufwendig gestalteten Flyers, der ab sofort in etwa 10 000 Briefkästen im Kreis Böblingen und auch in Calw landet. Mal als Beilage im Mitteilungsblatt, mal flattert er gesondert nur in jene Haushalte, in denen Erstwähler gemeldet sind. Das sind diesmal die Jahrgänge 1999 bis 2003. „Jede Kommune hat eine individuelle Lösung, wie sie mit den Flyern umgeht“, erklärt Achim Böll, Jugendreferent in Waldenbuch. Neben der Schokoladenstadt haben sich auch die Gemeinden Altdorf, Hildrizhausen, Schönaich, Weil im Schönbuch, Bondorf, Jettingen, Mötzingen, Deckenpfronn sowie die Stadt Calw dem Projekt der Waldhaus Jugendhilfe angeschlossen.
In der Regel finden sich auf der ersten Seite des Flyers Informationen über die anstehenden Wahlen. Beispielsweise darüber, wer überhaupt gewählt wird, wie oft die Kommunalwahlen stattfinden oder wer wahlberechtigt ist. Auf der Rückseite sind Themenfelder grafisch dargestellt, über die der zu wählende Gemeinderat entscheidet. Das sind beispielsweise die Sport- und Freizeitanlagen, die Schulausstattung oder freies W-LAN und schnelles Internet. „Es war nicht einfach, die Kommunalwahlen so knapp herunter zu brechen“, erklärt Harry Sommer, Jugendreferent in Altdorf und Hildrizhausen. Und sein Waldenbucher Pendant Böll fügt hinzu: „Wir wollten bildhaft vor allem die Themenbereiche darstellen, die Jugendliche interessieren.“
Außer in Bondorf, Mötzingen und Calw enthält der Flyer aber auch noch eine zweite Seite, die die Jugendlichen animieren soll, aktiv mitzumischen. Darauf können sie ihre Wünsche und Ideen für ihren Wohnort notieren, aber auch Fragen an die amtierenden oder zu wählenden Gemeinderatsmitglieder richten. Ausgefüllt können die Jugendlichen den Flyer dann bis zum 17. April an ihr jeweiliges Jugendreferat zurücksenden. Beispielsweise, indem sie sie in extra für dieses Vorhaben aufgestellte Boxen einwerfen, oder schlichtweg per Post. Auch mit den Rückläufen gehen die teilnehmenden Gemeinden unterschiedlich um.
Jugendliche können ihre Fragen und Ideen einbringen
In den Jugendreferaten werden alle Vorschläge und Fragen gesammelt, über die Osterferien ausgewertet und danach an die jeweiligen Gemeinderatsfraktionen weitergeleitet. „Wie diese dann darauf antworten, ist von Kommune zu Kommune anders. Die einen veranstalten Podiumsdiskussionen oder Kandidatenvorstellungen, die anderen veröffentlichen vielleicht schriftliche Statements“, erläutert Böll. Weiterhin werden die Themen, die auf den Karten aufgelistet sind, in den Jugendreferaten diskutiert.
So unterschiedlich die Wege auch sind, sollen sie doch zu einem gemeinsamen Ziel führen: „Wir wollen die Erstwähler animieren, sich einzumischen und politische Verantwortung zu übernehmen“, bringt es Michael Groh, Bereichsleiter Kommunale Jugend- und Jugendsozialarbeit im Waldhaus, auf den Punkt. Wichtig sei es, die Wahlen bei den Jugendlichen zu bewerben, sie gezielt auf ihr Mitbestimmungsrecht aufmerksam zu machen und sie dafür zu begeistern. „Wir müssen dieses Thema in die Köpfe der jungen Menschen bringen und sie gezielt informieren“, meint Groh.
Dieses Konzept habe man auch bei einem ähnlichen Projekt unter dem Titel „Was meinst du?“ bei der Kommunalwahl 2014 angewandt. Damals war das Wahlalter in Baden-Württemberg erstmals auf 16 Jahre heruntergesetzt worden. „Die Wahlbeteiligung lag 2014 in der Altersgruppe der 16- und 17-Jährigen bei 40 Prozent. Im Vergleich dazu sind nur 30 Prozent der 18- bis 25 Jährigen zur Urne gegangen“, erläutert Waldhaus-Geschäftsführer Hans Artschwager, der darauf hofft, dass die Erstwähler von damals diesmal den Anteil der nächsthöheren Altersklasse nach oben treiben. „Wenn wir gegen die Politikverdrossenheit der Gesellschaft angehen wollen, müssen wir früh anfangen“, betont Harry Sommer.
„Es ist wichtig, dass junge Leute sich einmischen. Tun sie das nicht, passieren solche Dinge wie der Brexit. Nur ein kleiner Teil der jungen Menschen hat gewählt und nun müssen alle sich mit dem Problem herumschlagen“, meint Jettingens Bürgermeister Hans Michael Burkhardt. „An den Klimademos sieht man, dass diese Generation politisch sensibilisiert ist. Aber Energiesparen fängt auf kommunaler Ebene an, deshalb ist es wichtig, dass die jungen Leute vor Ort mitmischen.“
„Gerade die junge Generation zwischen 16 und 30 Jahren hat noch eine lange Zukunftsperspektive. Deshalb ist es wichtig, dass wir sie über Projekte wie dieses erreichen und dazu bringen, Verantwortung zu übernehmen“, sind sich Waldenbuchs Schultes Michael Lutz und sein Altdorfer Amtskollege Erwin Heller einig.
Ein bedeutender Faktor, die Jugendlichen zu erreichen, sei es, auch eine junge Kommunikationsform zu wählen, betont Weil im Schönbuchs Gemeindeoberhaupt Wolfgang Lahl. „Seit die Jugendbeteiligung in der Gemeindeordnung verankert ist, tun wir uns alle schwer, dies zu organisieren und Begeisterung für die Kommunalpolitik zu wecken. Dieser Flyer schafft das.“
Wichtig sei es aber, mit den Vorschlägen und Ideen aus dem Rücklauf des Projekts ernsthaft umzugehen und einige Punkte schnell politisch umzusetzen, betont Hildrizhausens Bürgermeister Matthias Schöck. „Ansonsten kommen wir wieder zu einer Verdrossenheit zurück. Die Jugendlichen sollen sehen, dass sie ihren Ort mitgestalten können, wenn sie es wollen.“
Und was sagen diejenigen, an die sich der Flyer richten soll? „Es ist ein guter Anstoß, gerade für Familien, bei denen die Eltern vielleicht selbst nicht zur Wahl gehen. Durch die Aktion könnten auch sie aufgerüttelt und motiviert werden“, meint Jessica Schmidt aus Waldenbuch. „Für uns ist es wichtig, dass wir einen Bereich haben, in dem wir uns engagieren können. Wenn es den gibt, nutzen wir das auch“, fügt Lena Marie Röhm aus Bondorf hinzu.