Tag der offenen Tür in der Holzgerlinger Unterkunft für unbegleitete, minderjährige Asylsuchende
Sie kommen aus Syrien, sie kommen aus Afghanistan, sie kommen aus Gambia und aus Somalia. Alle teilen ein besonders schweres Schicksal: Sie sind auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung als Waisen in Holzgerlingen gestrandet. Jetzt gab es in der Wohngruppe Uhlandstraße erstmals einen Tag der offen Tür.
HOLZGERLINGEN. Von Holzgerlinger Nachbarn aller Altersgruppen bis hin zu lokaler Prominenz wie Bürgermeister Wilfried Dölker: Es herrscht ein munteres Treiben am Freitagnachmittag, die Stimmung ist ausgelassen unter den Gastgebern und unter den Gästen. Ist ja schließlich auch Wochenende. Die Jugendlichen der Waldhaus-Wohngruppe zeigen gerne ihr Zuhause und haben Spaß beim Kickern mit anderen Jugendlichen.
In der Wohngruppe „Uhlandstraße“ in Holzgerlingen leben zurzeit sechzehn männliche unbegleitete, minderjährige Asylsuchende (UMA). Davon stammen acht aus Afghanistan, zwei aus Syrien und je einer aus Somalia und Gambia. Die zwischen 15- und 18-Jährigen Flüchtlinge leben in verschiedenen Wohngruppen im Haus in der Uhlandstraße. Die Jugendlichen werden, je nach Alter und dem Grad der Selbstständigkeit, zwei Gruppen zugeordnet.
Die Wohngruppe in der Uhlandstraße ist eine von vielen Wohngruppen der Jugendhilfe Waldhaus gGmbH im Landkreis. Hans Artschwager senior gründete die Firma vor genau sechzig Jahren. „Er war im Krieg und erlebte Gefangenschaft und Flucht und Elend“, erzählt sein Sohn und heutiger Geschäftsführer, Hans Artschwager junior. „Daher wollte er sich derer annehmen, die es besonders schwer haben“, führt er fort.
Das Gebäude, in dem die Wohngruppe untergebracht ist, war einst ein Sonnenstudio und eine Motorradwerkstatt. Um den Jugendlichen Raum zu bieten, musste es großzügig umgebaut werden. Die Küche im Erdgeschoss beispielsweise spendete die Firma Küchen Line aus Schönaich. Die gefällt vor allem Hauswirtschafterin Christine Speer besonders, da sie in den Aufenthaltsraum integriert wurde. „So kann ich kochen und bin doch mitten unter den Jugendlichen“, erklärt sie.
Ausbildungsstellen für Jugendliche sind nur schwer zu vermitteln
Die Jugendlichen besuchen alle entweder Schulen oder stecken in berufsvorbereitenden Praktika. „Für die Jugendlichen ist es schwer, eine Ausbildungsstelle zu finden“, erklärt Hausleiterin Tanja König. „Abgesehen vom Sprachproblem müssen es die Analphabeten unter ihnen in zwei Jahren auf das schulische Niveau eines deutschen Schülers schaffen, der dafür neun bis zwölf Jahre zur Schule ging“, beklagt sie. Daher sei eine sprachliche Förderung unbedingt in die Ausbildung zu integrieren.
Im Erdgeschoss in Doppelzimmern leben sechs Jugendliche, die rund um die Uhr betreut werden. Neben einem gemütlichen Aufenthaltsraum mit Küche finden sich hier drei Schlafzimmer, ein WC sowie eine Dusche und Büroräume für die Betreuer sowie ein Schlafzimmer für den Nachtdienst.
Hauswirtschafterin Christine Speer kocht mit den Jugendlichen. Die freuen sich immer besonders aufs Wochenende: Denn da dürfen sie entscheiden, was gekocht wird und auch selber den Kochlöffel schwingen. „Das ist wichtig für die Jugendlichen, weil Essen auch immer ein Stück weit mit Kultur zu tun hat und sie an zu Hause erinnert“, weiß Tanja König. Außerdem ist der Küchendienst am Wochenende nur an einem einzigen Tag fällig – sehr zur Freude der Jugendlichen, die es wie ihre deutschen Altersgenossen sehr genießen, einfach mal ausschlafen und sich vom stressigen Schulalltag erholen zu können.
Die insgesamt neun Betreuer sind auch für das erste und zweite Obergeschoss zuständig. Darin leben die übrigen zwölf Jugendlichen, die älteren. Hier gibt es neben wenigen Doppelzimmern vor allem Einzelzimmer. Sie kochen selber und gehen ihren Pflichten bereits recht selbstständig nach. Daher werden sie nur acht Stunden am Tag betreut. „Wenn es aber ein Problem gibt, ist unten im Erdgeschoss immer jemand da“, erklärt Hausleiterin Tanja König. Die Pädagogin ist für viele nicht nur Betreuerin, sondern auch ein Stück weit „Ersatzmama“ und hört sich die Sorgen und Probleme der Jugendlichen an.
Regeln helfen, den Alltag zu meistern
Hauswirtschafterin Christine Speer brachte ein ganz besonderes Projekt auf den Weg: das sogenannte „Smiley-Projekt“. Um den Jugendlichen die Ordentlichkeit spielerisch ans Herz zu legen, belohnt sie Speer für das Sauberhalten beziehungsweise Aufräumen im Haus. Sobald die Jugendlichen zehn solcher Smileys beisammen haben, spendiert sie ihnen einen Kuchen. Ein netter Ansatz, der sicherlich in jeder Familie zu ordentlicheren Kindern führen könnte.
Um das Zusammenleben in einer größeren Gruppe zu organisieren, muss sich jeder an bestimmte Regeln halten und lernen mitanzupacken. Dazu gehört neben Benimmregeln wie keine Handys am Tisch auch der wöchentliche Putzplan. Der vermerkt, wer an der Reihe ist, den Müll rauszubringen, die Spülmaschine auszuräumen oder den Müll zum Wertstoffhof zu bringen.
Neben dem Putz- und Terminplan hängen in der Wohngruppe auch Informationen zu Veranstaltungen, Konzerten, Freizeiten oder anderen Treffen aus, um die Jugendlichen in Holzgerlingen und der Umgebung besser zu integrieren und ihnen das Knüpfen sozialer Kontakte zu erleichtern. Das ist auch das erklärte Ziel für den Tag der offenen Tür.
Ein anderer Zettel erinnert an den allwöchentlichen Gruppenabend am Montag. Der ist Pflicht für alle. „Am Tisch wird eigentlich nur deutsch gesprochen, soweit das möglich ist“, erklärt König. Und das klappe auch ganz gut. „Klar, reden sie unter sich auch mal in ihrer Landessprache, aber das ist auch in Ordnung“, fährt sie fort.
Auf einem Terminplan werden außerdem Termine bei verschiedenen Behörden wie dem Jugendamt vermerkt – die dürfen keinesfalls verpasst werden. Das Jugendamt unter der Leitung von Natascha Spitzel hat die gesetzliche Vormundschaft übernommen. Ebenso wie Hausleiterin Tanja König ist sie Ansprechpartnerin für die Sorgen und den Kummer der Jugendlichen. Denn die wenigsten der Jugendlichen besitzen eine Aufenthaltserlaubnis, die meisten sind geduldet oder erhielten eine Aufenthaltsgestattung. Daher plagen die Jugendlichen nicht nur die traumatischen Erlebnisse in ihrem Heimatland und auf der Flucht, sondern auch die Sorge dorthin zurückzumüssen, weil sie abgeschoben werden könnten.
Bürgermeister Wilfried Dölker zeigt sich vor allem von der raschen Planung der Wohngruppe begeistert. Bereits nach drei Monaten sei diese abgeschlossen gewesen. Und das Endergebnis könne sich sehen lassen, stellt Dölker fest. Er fügt hinzu: „Die Stadt Holzgerlingen ist Ermöglicher und nicht Verhinderer.“ Die Stadt freue sich über derartige Projekte, um Menschen in Not zu unterstützen und individuell zu fördern.
Artikel vom 07. Juni 2017, von Chiara Sterk, Kreiszeitung Böblinger Bote
http://www.krzbb.de/krz_52_111333780-13-_Fluechtlingskinder-wollen-Wurzeln-schlagen.html?archiv=1