Initiative in Weil im Schönbuch:
Die Jugend tritt aus dem Corona-Schatten
In zwei Jahren Pandemie mussten junge Menschen viel zurückstecken. Jetzt suchen sie vielerorts nach Wegen, sich in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen und für ihre Bedürfnisse einzutreten. Aktuelles Beispiel: eine neue Initiative zur Jugendbeteiligung in Weil im Schönbuch.
Kreiszeitung Böblinger Bote
von Eddie Langner 04.07.2022
Zwei Jahre Corona haben bei Kindern und Jugendlichen Spuren hinterlassen. Freundschaften, Gemeinschaftserlebnisse und soziale Kontakte wurden wegen Lockdowns und anderen Maßnahmen in einer besonders prägenden Lebensphase drastisch heruntergefahren. Umso mehr drängt es junge Menschen jetzt, Verpasstes nachzuholen und Bedürfnisse auszuleben.
Wo Jugendlichen der Schuh drückt: In vielen Gemeinden fehlt es an öffentlichen Plätzen, an denen junge Menschen sich treffen können, ohne dabei andere zu stören. Foto: Unsplash/Aedrian
Dabei stoßen sie jedoch schnell an Grenzen – sei es räumlich, politisch oder gesellschaftlich. Sprich: Jugendliche finden keine öffentlichen Plätze, an denen sie geduldet sind, sie finden nicht überall Gehör bei Gemeinderat und Verwaltung, und sie stoßen immer wieder auf Ablehnung bei der erwachsenen beziehungsweise älteren Bevölkerung, die in ihnen oft nur einen Störfaktor sieht.
Durch die Pandemie hat sich die Situation verschärft
Durch die Pandemie hat sich die Situation mitunter verschärft, Bedürfnisse und Nöte der Jugendlichen wurden noch weiter ins Abseits gedrängt. Ein Ausweg führt deshalb vielerorts über eine von verschiedenen Formen der Jugendbeteiligung.
Ein aktuelles Beispiel dafür liefert gerade eine Initiative in Weil im Schönbuch. Dort hat das Jugendreferat unter der Leitung von Jugendreferentin Mahendra Scharf im vergangenen Frühjahr ein Projekt gestartet, an dessen Ende die Gründung eines Jugendgemeinderats stehen könnte.
Harte Sparmaßnahme erweckt politisches Interesse
„Das Ganze hat eine Vorgeschichte“, erklärt Mahendra Scharf, die unter Trägerschaft der Waldhaus-Jugendhilfe aus Hildrizhausen in Weil im Schönbuchtätig ist. Auslöser war demnach eine pandemiebedingte Sparmaßnahme: Die Gemeinde wollte vergangenes Frühjahr ihr traditionelles Sport- und Freizeitcamp für Kinder und Jugendliche streichen. „Das können die uns doch nicht auch noch wegnehmen“, zitiert Mahendra Scharf die entrüstete Reaktion des Orga-Teams. Das besteht laut der Sozialarbeiterin aus einer Gruppe junger Leute Anfang 20. „Die haben vor sechs, sieben Jahren als 14-, 15-Jährige damit angefangen und dann immer mehr Verantwortung übernommen“, sagt sie.
Die Aussicht, dass ihnen dieses Event nach einem Jahr Corona-Stillstand weggenommen werden sollte, weckte das lokalpolitische Interesse der jungen Menschen. „Was können wir tun, wie können wir unsere Meinung sagen?“, wollten sie von der Jugendreferentin wissen. Die machte ihnen zunächst klar, dass sie nicht einfach in eine Gemeinderatssitzung kommen und dort ihren Fall vortragen können, da die Gemeindeordnung für Besucher kein Rederecht vorsieht. Also schrieben die jungen Camp-Organisatoren einen Brief an Bürgermeister Wolfgang Lahl und den Gemeinderat.
„Wir wollen gehört werden.“
Das Schreiben hatte Erfolg: Die kommunalen Entscheidungsträger gaben grünes Licht für das Camp, und die jungen Erwachsenen hatten Lust bekommen, auch noch bei anderen Themen mitzureden. Mahendra Scharf organisierte daraufhin im Herbst im Jugendhaus Neon einen Info-Abend, um zu vermitteln, was ein Jugendgemeinderat ist, wie er arbeitet und welche Probleme und welche Chancen sich dabei ergeben.
Schnell wurde den Mitgliedern des Orga-Teams klar, dass hier viel Arbeit auf sie zukommen würde. „Einigen war das viel zu zeitintensiv. Die sind ja zum Teil in der Ausbildung oder sonst wie eingebunden“, erklärt die Sozialarbeiterin, warum schließlich einige aus der ursprünglichen Gruppe wieder absprangen. Dafür kamen andere hinzu. „Wir wollen gehört werden“, sagten sie – begriffen allerdings auch, dass sie dafür mehr Leute brauchen würden. Also gingen sie auf die Schülerinnen und Schüler zu und starteten eine Umfrage, um herauszufinden, was die Jugend im Ort möchte und wo die Probleme sind. Seit November 2021 organisiert Mahendra Scharf dazu monatliche Planungstreffen im Jugendhaus.
Umfrage birgt Konfliktstoff
Im März hatte sich mit Sebastian Heim, Viviane Seidl, Theresa Röll, Noel Novotny, Lennart Adamsky und Malte Höwing eine sechsköpfige Gruppe herauskristallisiert. Für einen Jugendgemeinderat wären das zu wenige Mitglieder. Deshalb wählt das engagierte Team mit der „JugendBeteiligungWeil“ zunächst eine andere Form und arbeitet seitdem daran, den Weilemer Teenagern eine Stimme zu geben.
Das Umfrageergebnis stellte die Gruppe vor einigen Tagen im Gemeinderat vor und stieß mit ihrer Präsentation auf eine sehr wohlwollende Resonanz. Allerdings bergen manche Punkte durchaus Konfliktstoff. Zum Beispiel die Kritik der Jugendlichen, dass es an öffentlichen Plätzen für gemeinsame Treffen fehlt. Jetzt ist es an Verwaltung und Gemeinderat, zu zeigen, wie ernst sie es mit der Jugendbeteiligung meinen.
Wo die Jugendlichen der Schuh drückt
Umfrage
In Weil im Schönbuch hat sich eine Jugendbeteiligungsgruppe gegründet. Um herauszufinden, was die Jugend im Ort wünscht und wo es Probleme gibt, hat die Gruppe rund 100 Leute zwischen 13 und 23 Jahren befragt.
Überraschung
Einige Umfrageergebnisse lassen aufhorchen. So erklärt sich etwa nur ein Drittel für einigermaßen politisch interessiert, eine große Mehrheit will sich aber für andere einsetzen. Ebenfalls bemerkenswert: Nur 33 Prozent der Befragten wissen, was ein Jugendgemeinderat ist, aber 76 Prozent sagen, dass Jugendliche mehr können als ihnen zugetraut wird.
Unmut
Größter Kritikpunkt der Weilemer Jugend ist das Fehlen öffentlicher Treffpunkte. Wenn Jugendliche auf Spielplätze oder Schulhöfen ausweichen, kommt es zu Konflikten. Wie Jugendsozialarbeiterin Mahendra Scharf betont, ist dies aber ein übergeordnetes Problem, das nicht nur Weil im Schönbuch betrifft.