„Nein, in die Schule geh ich nicht!!
Schulabsentismus: Ein Thema auch in Zeiten von Corona!
Arbeitskreis stellt Handlungsleitfaden für Schulen vor
Schulabsentismus – unter diesem Begriff werden Schulangst, Trennungsangst und Schulschwänzen zusammengefasst. Er bezeichnet das „unerlaubte Fernbleiben vom Unterricht“, wie es im geschliffenen Verwaltungsdeutsch heißt. Es gibt viele Gründe, warum eine Schülerin, ein Schüler, nicht mehr in die Schule geht. Und es ist häufig schwierig, aus eigener Kraft dieses Verhalten zu ändern und den Schulbesuch wieder aufzunehmen. Hierfür Orientierung und konkrete Unterstützung anzubieten hat sich der bereits im Jahr 2006 gegründete „Arbeitskreis Schulabsentismus“ im Landkreis Böblingen zum Ziel gesetzt. Nun wurde ein Handlungsleitfaden vorgestellt, der insbesondere Schulen dabei unterstützen soll, ‚abhanden gekommene‘ Schülerinnen und Schüler wieder in die Schule zurückzuholen.
Im Boot des Arbeitskreises finden sich die unterschiedlichsten Fachleute, die mit dem Thema konfrontiert sind: Lehrer*innen, Schulleitungen, das Staatliche Schulamt, die Schulpsychologische Beratungsstelle und Vertreter*innen der Schulsozialarbeit als Teilnehmende sind aufgrund ihrer konkreten Einbindung ins Schulsystem dabei.
Weiter nehmen Fachkräfte teil, an die beim Thema Schulabsentismus vermutlich zunächst gar nicht gedacht wird: Polizei, Ordnungsämter, die Erziehungsberatungsstellen des Landkreises, Mobile Jugendarbeit, aber auch die Kinder- und Jugendpsychiatrie und das Kreisjugendamt.
Außerdem vertreten sind die freien Träger der Jugendhilfe Waldhaus Hildrizhausen, der Verein für Jugendhilfe und die Stiftung Jugendhilfe – aktiv. Finanziert durch den Landkreis, begleiten deren drei Mitarbeiter*innen unter dem Projektnamen „TRIAS“ konkret Schülerinnen und Schüler bei der Wiedereingliederung in den Schulalltag. „TRIAS – das beschreibt die ‚Dreiheit‘ von Schüler*in/Familie – Schule – Jugendhilfe und ist Hinweis auf die notwendige Voraussetzung einer gelungenen Wiedereingliederung: die enge und vertrauensvolle Kooperation zwischen allen Beteiligten“, erläutert Katrin Dreher vom Waldhaus, die von Anfang an dabei ist. Denn: Alleine schaffen es Eltern und ihr Kind in der Regel nicht!
Aktuell wurde nun eine „Handlungsempfehlung für Schulen“ in Neufassung vorgestellt. Auf 40 Seiten finden sich Begriffsdefinitionen, Checklisten, Gesprächsleitfäden, aber auch Adressen von Institutionen im Landkreis, die im Einzelfall konkret unterstützen und die Wiedereingliederung begleiten können.
Das Thema belastet betroffene Schülerinnen und Schüler, aber auch Eltern und Lehrkräfte, die damit umgehen müssen.
Gründe für und Erscheinungsformen von Schulabsentismus sind dabei vielfältig:
„Nein, das tu` ich mir nicht an!“
Der Begriff Schulangst beschreibt die Angst vor konkreten Situationen in der Schule. Dies können überfordernde Leistungsansprüche sein, das Halten von Referaten, Prüfungsängste, aber auch Ausgrenzungs- und Mobbingsituationen.
„Nein, ich bleibe lieber daheim!“
Schulphobie hingegen wird eine Trennungsangst genannt, die überwiegend bei jüngeren Schüler*innen auftritt. Sie wird nicht als Angst wahrgenommen, sondern äußert sich üblicherweise in Form von Kopf- oder Bauchschmerzen, gerne in den Morgenstunden. Folge sind häufige Arztbesuche, Krankschreibungen und somit viele entschuldigte Fehlzeiten in der Schule.
„Nein, Schule ist eh ätzend!“
Die dritte Erscheinungsform ist schließlich das klassische Schulschwänzen, das vermeintlich durch Schulunlust und Desinteresse entsteht. Die Erfahrung der Fachkräfte ist jedoch, dass es diese Erscheinungsform von Schulabsentismus gar nicht so häufig gibt. Vielmehr sind oft andere belastende Themen vorhanden.
„Allen drei Formen ist jedoch eins gemein: Schulabsentismus ist ein sich über einen längeren Zeitraum entwickelnder Prozess. Bei jeder Variante besteht die Gefahr der
Chronifizierung und damit einer Beeinträchtigung der Gesamtentwicklung der Kinder und Jugendlichen“ erklärt Dr. Maren Wolber von der Schulpsychologischen Beratungsstelle.
„Insbesondere beim Auftreten körperlicher Symptome muss medizinisch abgeklärt werden, ob eine organische Ursache für die Beschwerden vorliegt – auch das gibt es schließlich. Nur durch ein umfassendes Verständnis der Gesamtsituation können Ängste überwunden werden“, so PD Dr. Ulrike Schulze, Chefärztin der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Böblingen. Vergessen werden sollten aber auch nicht weitere mögliche psychische Erkrankungen, die ursächlich mit dem Schulabsentismus in Verbindung stehen könnten.
Wichtig ist hierbei, dass Schule und Eltern an einem Strang ziehen und gemeinsam mit Geduld und Verständnis die Schülerin oder den Schüler begleiten. Vordringlichstes Ziel ist die schnelle Reintegration des Kindes oder Jugendlichen in die Schule. Unterstützt werden können die Familien und die Schule durch die Institutionen, die im Arbeitskreis vereint sind.
Vor allem den drei Fachkräften von „TRIAS“ kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu, da diese aufsuchend in die betroffenen Familien gehen, dort Elterngespräche führen und vor Ort ebenso mit der Schülerin oder dem Schüler sprechen und diese auch zu notwendigen Schulgesprächen begleiten können. Insgesamt 23 von Schulabsentismus betroffene Schülerinnen und Schüler können zeitgleich von „TRIAS“ betreut werden – und die Plätze sind eigentlich immer ausgebucht.
Nicht verschwiegen werden darf, dass es auch noch eine andere Seite von Schulabsentismus gibt: Eltern, die ihre Kinder nicht zur Schule schicken oder denen deren Schulbesuch einfach gleichgültig ist. Hier greifen dann nicht die beschriebenen kooperativen psychosozialen Begleitmechanismen, sondern die Ordnungsregeln des Staates. Da eine gesetzliche Schulpflicht besteht, haben Eltern im Rahmen ihres Sorgerechts und ihrer Sorgepflicht dafür Verantwortung, dass die Schulpflicht auch umgesetzt wird. Verweigern sie das, kann über Schule und Ordnungsamt ein Bußgeldbescheid erlassen werden. Bei älteren Schülerinnen und Schülern können diese alternativ selbst zu Arbeitsstunden herangezogen werden. Im Extremfall ist auch eine polizeiliche Zuführung zur Schule denkbar.
„Nein, in die Schule kann ich nicht!“
Eine besondere Herausforderung an Familien und das Schulsystem stellt nach nunmehr rund einem halben Jahr nach wie vor die grassierende Covid-19-Pandemie dar – Ende nicht absehbar.
Durch umfassende Ausgangs- und Kontaktsperren, ausgefallenem Präsenzunterricht, durch fehlende Erfahrung mit der Beschulung per Videochat (wo er denn funktionierte), zudem durch mehr oder weniger zuverlässige Strukturen im häuslichen Umfeld hat das Thema Schulabsentismus eine neue, bisher unbekannte Qualität erhalten. Es zeichnet sich ab, dass die Zahl derjenigen Schüler*innen, die nun durch die Corona-Krise verunsichert werden und Schulverweigerungstendenzen entwickeln, zunehmen wird.
Veränderte Tagesstrukturen, Lernzeiten im häuslichen Umfeld, fehlende Unterstützungsmöglichkeiten durch Eltern, fehlende technische Infrastruktur vom Computer bis hin zu überlasteten Internetleitungen, zudem die emotionale Belastung durch die Pandemie – nicht jeder junge Mensch kann damit mit genügender emotionaler Distanz umgehen – auch manche Eltern nicht. Dies gilt es zu bedenken.
In all diesen Aufgabenstellungen sind besonders die Lehrerinnen und Lehrer gefragt – hinzuschauen, wahrzunehmen, Kontakt zu halten.
Hier gelten nun die Leitsätze bei drohendem Schulabsentismus besonders:
Anwesenheit über Leistungskontrolle setzen; individuelle Lösungen finden; Unterstützungsangebote innerhalb und außerhalb der Schule wahrnehmen; gemeinsam handeln.
Auch wenn die Krise der Pandemie noch nicht vorbei und nicht klar ist, wie es weitergeht: An dieser Stelle soll den Lehrerinnen und Lehrern, den Müttern und Vätern, den Schülerinnen und Schülern einmal herzlich gedankt werden – für großartiges Engagement, für Durchhaltevermögen, für Solidarität, für Aushalten von Beschränkungen und Unsicherheiten!
Bei Fragen und Unterstützungsbedarf stehen die Fachleute des Arbeitskreises Schulabsentismus bereit:
- die Schulpsychologische Beratungsstelle:
Regionalstelle Stuttgart des Zentrums für Schulqualität und Lehrerbildung
Charles-Lindbergh-Straße 11, 71034 Böblingen
Telefon 07031 – 20 59580
poststelle.spbs-bb@zsl-rs-s.kv.bwl.de
Waldhaus gGmbH – Sozialpädagogische Einrichtungen der Jugendhilfe
Böblinger Straße 130, 71065 Sindelfingen
Telefon 0172 7541703
- die psychologischen Beratungsstellen des Landkreises:
- Beratungsstelle Böblingen, Waldburgstr. 19
Telefon 07031 – 223083
Offene Schülersprechstunde: jeden Mittwoch 13.30 Uhr bis 14.30 Uhr
(außer in den Schulferien – Gespräch auch ohne Termin möglich)
- Beratungsstelle Herrenberg, Tübinger Str. 48
Telefon 07031 – 6632420
Offene Schülersprechstunde: jeden Mittwoch 13.30 Uhr bis 14.30 Uhr
(außer in den Schulferien – Gespräch auch ohne Termin möglich)
- Beratungsstelle Leonberg, Rutesheimer Straße 50/1
Telefon 07031 – 6634120
Offene Sprechstunde für Jugendliche: jeden Mittwoch 13.30 Uhr bis 14.30 Uhr (außer in den Schulferien – Gespräch auch ohne Termin möglich)
- Beratungsstelle Sindelfingen, Corbeil-Essones-Platz 10
Telefon 07031 – 6634107
- der Soziale Dienst des Jugendamtes:
- Sozialer Dienst Böblingen, Calwer Str. 7
Telefon 07031 – 6631368
- Sozialer Dienst Sindelfingen, Corbeil-Essonnes-Platz 6
Telefon 07031 – 6633050
- Sozialer Dienst Leonberg, Rutesheimer Straße 50/2A
Telefon 07031 – 6634070
- Sozialer Dienst Herrenberg, Tübinger Str. 48
Telefon 07031 – 6632447
- die Psychiatrische Institutsambulanz für Kinder und Jugendliche:
Im Spital – Stuttgarter Str. 51, 71263 Weil der Stadt,
Telefon 07033 – 3055990
- sowie die Schulsozialarbeit der jeweiligen Schule!