Wenn Täter Hilfe brauchen

Die Situation eskaliert: Ein Paar streitet sich, der Mann verliert die Fassung, schubst seine Partnerin – wirft etwas nach ihr. Sie ruft die Polizei. „Bei mir sitzen in der Regel keine richtigen Schläger, sondern Männer mit einer kurzen Zündschnur“, sagt Uwe Seitz, der im Waldhaus Hildrizhausen – einem der großen Träger der Jugendhilfe im Kreis Böblingen – gemeinsam mit seiner Kollegin Sonja Zimmermann ein Beratungsangebot für Menschen anbietet, die in ihrer Beziehung gewalttätig geworden sind.

von Melissa Schaich 23.05.2024, Kreiszeitung Böblinger Bote

Bundesweit waren laut dem Bundeskriminalamt im Jahr 2022 76,3 Prozent der Tatverdächtigen im Bereich der häuslichen Gewalt männlich. Bekannt sind Anlaufstellen für die meist weiblichen Opfer, wie beispielsweise Amila. Uwe Seitz hingegen kümmert sich um die andere Seite der Medaille: Die Täter. 

Der Hauptteil der Personen kommt über die Gerichtshilfe

Der Hauptteil der Menschen, die bei Uwe Seitz landen, werden per Zuweisung über die Gerichtshilfe der Staatsanwaltschaft Stuttgart zu ihm geschickt. Nur ein Bruchteil kommt aus freiwilligen Stücken. Grundsätzlich seien aber seine Klienten und Klientinnen daran interessiert, ihr Verhalten zu ändern. „In der Beratung versuchen wir dann, Strategien zu finden, wie Eskalationen in Zukunft vermieden werden können“, erklärt Seitz.

Uwe Seitz ist Bereichsleiter im Waldhaus und berät Menschen, die in ihren Beziehung Gewalt angewendet haben.  /Stefanie Schlecht

Gründe für die körperlichen Auseinandersetzungen sind oftmals Trennungen, Streitigkeiten über Sorgerecht, Krankheitsfälle innerhalb von Familien oder Eifersucht. Oft seien es Kommunikationsprobleme, die eine „verbale Auseinandersetzung zu einer körperlichen“ machen, sagt Uwe Seitz.

Seine Rolle sieht der Berater darin, zu vermitteln. „Es gibt keinen magischen Knopf, der verhindert, dass man wütend wird“, versucht er den Männern in den Beratungsgesprächen mitzugeben. Die Frage sei nur, wie man damit umgehe. In emotionalen Situationen rät Uwe Seitz zunächst, Distanz zu schaffen. „Wenn Streitigkeiten eskalieren, ist niemand an Lösungen interessiert“, sagt er. Eine Runde joggen gehen, Freunde besuchen und sich aussprechen – diese Dinge können helfen, um die eigenen Gefühle wieder unter Kontrolle zu bringen. 

Die Männer, die vor ihm sitzen, würden als Rechtfertigung für ihr gewalttätiges Verhalten eine Ausrede verwenden, die Uwe Seitz oft entgegenschlägt: Ihre Gewaltausbrüche könnten sie nicht steuern, würden viele Männer ihm gegenüber behaupten. Seine Aufgabe sei es dann, seinen Klienten aufzuzeigen, dass sie sehr wohl selbst steuern können, ob sie zuschlagen oder eben nicht. „Gewalt ist ein erlerntes Verhaltensmuster“, erklärt er. Es gebe immer Handlungsalternativen. „Das sind ja keine übernatürlichen, unlösbaren Probleme“, sagt Seitz. In der Beratung erlebter das schon oft: Männer, die zuvor unkontrolliert und unreflektiert zugeschlagen haben, sobald sie provoziert wurden, stellen plötzlich reflektiert fest, dass sie das ja gar nicht müssen. Das kann ein Anfang vom Ende der Gewalt sein. 

Ihren Anfang hat die Fachberatungsstelle im Jahr 2004 genommen, damals als Gruppenangebot ausschließlich für Männer. Obwohl die Hauptzielgruppe immer noch Männer sind, wurde die Beratung mittlerweile auch für Frauen geöffnet. Nach vielen Jahren der Erfahrung schwenkte das Waldhaus-Team außerdem von Gruppen- auf Einzelberatungen um. Ein Grund dafür, das Angebot einzurichten, war damals der neu eingeführte Platzverweis, mit dem die Polizei einer Person untersagen kann, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten.

Von seinen Klienten bekommt Uwe Seitz oftmals als Rückmeldung, dass die Beratung eine bereinigende Erfahrung gewesen sei. Mit einem neutralen Ansprechpartner über emotionale Situationen zu sprechen, helfe vielen. Und trotzdem müsse er als Berater auch aushalten, dass manche Männer und Frauen trotz vieler Bemühungen eine Form des Zusammenlebens wählen, die ihm selbst widerstreben würde, drückt Uwe Seitz es aus. Kritik, dass er den Tätern hilft, sei ihm in seiner Laufbahn noch nie entgegengebracht worden, sagt der Waldhaus-Mitarbeiter. Täterarbeit, sagt er, sei schließlich auch Opferarbeit. 

Fachberatungsstelle bei häuslicher Gewalt 

Beratungen
Im vergangenen Jahr wurden mit 43 Klienten 160 Beratungen abgehalten. 24 Männer und fünf Frauen kamen per Zuweisung über die Gerichtshilfe zur Beratung, vier Männer und eine Frau kamen freiwillig. Der Rest der Teilnehmenden kam über das Jugendamt oder wurden per Urteil vom Gericht zugewiesen. Insgesamt suchten 36 Männer und 7 Frauen die Hilfe auf. Die meisten Teilnehmenden waren zwischen 40 und 49 Jahre alt. 

Ablauf
Drei Beratungstermine sind verpflichtend, bis zu zehn Termine können wahrgenommen werden. Auch Partner oder Partnerinnen können zu einem der Termine kommen und ihre Sicht der Dinge schildern. Weitere Infos gibt es unter www.waldhaus-jugendhilfe.de.

https://www.krzbb.de/inhalt.immer-mehr-haeusliche-gewalt-auch-im-kreis-boeblingen-wenn-taeter-hilfe-brauchen.bee56717-6aba-4fd3-ad32-7b3ea77ab647.html