Wie das Waldhaus das jugendliche Ich stärken will

Wer bin ich und wer will ich sein? Das Waldhaus in Hildrizhausen hat sich Gedanken gemacht, wie man junge Menschen bei ihrer Identitätsfindung unterstützen kann – auch weil Jugendliche aus der Pandemie als eine der Hauptleidtragenden hervorgingen.

von Martin Dudenhöffer 22.01.2025, Kreiszeitung Böblinger Bote

Körperliche Veränderungen, psychische Belastungen, Druck in der Schule, der eigene Platz im Freundeskreis – in kaum einer Altersphase sind Menschen gleichzeitig mit so vielen Herausforderungen konfrontiert, wie in der Zeit zwischen 12 und 17 Jahren. Ausgerechnet in dieser hochdynamischen Phase sollen Jugendliche eine eigene, möglichst stabile Identität entwickeln und für sich herausfinden, wer sie sind und wohin sie gehen möchten.

Das Waldhaus, einer der größten Jugendhilfeträger im Kreis Böblingen, begleitet seit über 60 Jahren Jugendliche in ihrer Entwicklung. Nun stößt die Einrichtung mit Sitz in Hildrizhausen mit „How to be real“ ein Projekt an, das die Identitätsfindung und psychische Gesundheit von jungen Menschen vertieft in den Blick nimmt. Denn nicht jeder junge Mensch überspringt mit Leichtigkeit die Hürden des Jugendalters – erst recht nicht, nachdem durch die Coronapandemie viele für die Altersgruppe wichtige Entwicklungsstufen ausgebremst wurden.

Alle „Waldhaus-Gemeinden“ sind beteiligt

Starten wird das interkommunale Projekt in den Gemeinden Hildrizhausen, Holzgerlingen, Altdorf, Waldenbuch, Weil im Schönbuch und Grafenau am 30. Januar. Bis zu den Sommerferien wird in Workshops, Veranstaltungen, Gesprächsrunden und Weiterbildungsmöglichkeiten für Mitarbeiter mit den Jugendlichen an einem gesunden Ich gearbeitet.

Die Idee, durch das Projekt gezielter mit den jungen Menschen an dem für sie relevanten Thema zu arbeiten, reifte im Laufe der vergangenen Jahre heran. „Durch die Coronapandemie haben wir eine Verschlechterung der psychischen Stabilität festgestellt. Nicht wenige haben Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen entwickelt. Wir waren uns dann einig, dass wir Jugendliche mental stärken und sie noch enger begleiten müssen – am besten auch durch neue Angebote“, sagt Michael Groh, Leiter der kommunalen Jugendsozialarbeit im Waldhaus. 

Zwölf- bis Siebzehnjährige erleben turbulente Zeiten

Wie wichtig diese Themen sind, weiß Groh: „Die Frage, wie sich die eigene Persönlichkeit formt und welches Ich man entwickeln soll, während sich Körper und Psyche verändern, ist allgegenwärtig. In diesen Jahren voller Umbrüche ist die Identitätsentwicklung die Hauptaufgabe eines Jugendlichen.“ Heute seien junge Menschen mit vielen Herausforderungen konfrontiert, wie der Sozialpädagoge erläutert: „Die Identitätsfindung war schon immer herausfordernd. Im Gegensatz zu früheren Generationen ist das Leben von Jugendlichen heute aber nicht mehr ohne den Einfluss von sozialen Medien zu denken. Außerdem wachsen sie in Zeiten multipler Krisen auf. Das Zurechtfinden in dieser komplexen Welt ist anspruchsvoller.“

Um zu erfahren, was die Jugendlichen konkret beschäftigt und belastet, woraus sie Resilienz ziehen und was ihnen Ressourcen kostet, wurde im November 2024 eine Umfrage durchgeführt. Gefragt wurde unter anderem, ob Jugendliche die Nutzung sozialer Medien oder der eigene Freundeskreis als eher stärkend und bereichernd oder schwächend und ressourcenraubend empfinden. Die genauen Ergebnisse wird das Waldhaus am 30. Januar bei der Auftaktveranstaltung von „How to be real“ vorstellen. So viel sei aber gesagt: „Es sind keine überraschenden Ergebnisse“, deutet der Sozialpädagoge an. Es handele sich um Erkenntnisse, mithilfe derer an den Orten wie Schulen oder Jugendhäuser passgenauer auf die Bedürfnisse der Jugend eingegangen werden soll.

Methodenkoffer kann Impulse geben

„Wir haben deshalb einen Methodenkoffer zusammengestellt. Dieser umfasst rund 100 Seiten. Darin geht es um Resilienzstärkung, Identitätsfindung und Beziehungsaufbau“, erklärt Michael Groh. Über Schulsozialarbeiter wird das Material an Schüler ab Klasse 7 und Lehrkräfte gegeben. Ein weiterer Baustein des Projekts ist ein selbst entwickeltes Kartenspiel. Zum Inhalt des Spiels sagt Michael Groh: „Es sind Persönlichkeitstests, durch die man sich gegenseitig und sich selbst kennenlernen kann. Denn oft unterscheiden sich Fremd- und Selbstwahrnehmung voneinander.“ Das Spiel helfe, seine Stärken und Schwächen zu entdecken und darüber zu sprechen. „Martin Buber hatte einst gesagt: ‚Über das Du werde ich zum Ich.’ Ich finde, das stimmt“, sagt Groh.

Auch über andere Aktivitäten soll im nächsten halben Jahr mit dem Jugendlichen in Interaktion getreten werden: Menschen, die auf einem Podium ihre eigene Lebensgeschichte wiedergeben und so als Vorbild dienen können. Außerdem soll eine Spiele-Convention stattfinden – mit analogen Spielen wie Autorennen auf einer Carrerabahn oder digital mit dem Videospiel „FIFA“.

Junge Menschen wollen ernst genommen werden

Spezielle Angebote für junge Menschen sind das eine. Michael Groh findet aber auch, dass generell mehr auf Augenhöhe mit Jugendlichen interagiert werden soll: „Junge Menschen wünschen sich Anerkennung und ein ehrliches Interesse von uns Erwachsenen. Eine positive Rückkopplung von Freunden und Familien – den Ressourcenspendern – hilft Jugendlichen immer.“

Zum Artikel auf krzbb.de